Bleibenslebensweisen in Kleinstädten
Rühmling, Melanie (2023): Bleibenslebensweisen in Kleinstädten. Die Rolle der sozialen Beziehungen im Entscheidungsprozess des Bleibens in der Kleinstadt. Cottbus: HochschulCampus KleinstadtForschung (Hrsg.), Working Paper 1.
Kurzzusammenfassung
Hierzu wurden problemzentrierte Gespräche mit vier Bewohnerinnen von Kleinstädten geführt, um bisherige lebensgeschichtliche Relevanzsetzungen des Bleibens und deren Einbettung in soziale Netzwerke zu verstehen. Hinzu kommt eine standardisierte Netzwerkerhebung, die vor dem Hintergrund der Fragestellung spezifische Beziehungen und Beziehungsstrukturen verdeutlicht.
Es sind insbesondere die Eltern, die im Entscheidungsprozess des Bleibens eine wichtige Rolle spielen, und zwar über die unterschiedlichen Lebensphasen hinweg. Grund ist, dass sie es sind, die in jeweiligen Lebensphasen konkrete Unterstützung leisten können und darüber hinaus die Bedürfnisse der Gesprächspartnerinnen genau kennen. In der Phase zwischen Schulabschluss und Ausbildung können sie darüber hinaus als Push-Faktoren gelten, ohne dass die Beziehung zwischen ihnen konfliktbehaftet ist.
Zudem ist der:die Partner:in relevant. Innerhalb der Partnerschaft wird sich abgestimmt, verhandelt, sich geeinigt und es werden Verantwortung und Konsequenzen gemeinsam getragen.
Auffällig ist, dass es vor allem die Eltern und der:die Partner:in sind, die die Gesprächspartnerin als passive Akteurin im Entscheidungsprozess positionieren, also die Entscheidungsfindung für die Gesprächspartnerin übernehmen.
Wenn das Bleiben in der Kleinstadt abhängig ist vom bisherigen Lebenslauf und den sozialen Beziehungen, aber auch von aktuellen Bedürfnissen, ist dieser Dreiklang auch auf weitere relevante Personen wie die Eltern oder den:die Partner:in übertragbar und strahlt somit wiederum auf die Bleibensintention der Gesprächspartnerin ab. Für die Entscheidung, vor Ort zu bleiben, ist es also zuträglich, wenn Personen aus dem sozialen
Netzwerk selbst auch in der Kleinstadt aufgewachsen sind. Schließlich gehen damit vielschichtige soziale und räumliche Beziehungen einher, die wiederum die Gesprächspartnerinnen einbeziehen.
Die Atmosphäre vor Ort, die von anderen Bewohner:innen geprägt wird, trägt wesentlich zum Bleiben in der Kleinstadt bei. Allein ein scheinbar lapidares Grüßen, ein „Jeder-kennt- jeden“-Gefühl oder das Wissen um soziale Zusammenhänge intensiviert eine Ortsbindung, die wiederum als Symbol des eigenen Verortens im relevanten Raum genutzt wird. Diese hohe Identifikation durch die anderen Bewohner:innen wirkt sich positiv auf die Entscheidung, in der Kleinstadt zu bleiben, aus.
Ergebnis IV: Die Entscheidung, zu bleiben, misst sich nicht allein an vorhandenen Arbeitsplätzen
Auffällig ist, dass die Entscheidung, in der Kleinstadt zu bleiben, sehr selten auf einer konkreten Problemlage basiert. Der Abwägungsprozess wird nicht nur anhand ökonomischer und rein rational getroffener Teilentscheidungen dargestellt. Vielmehr wird von weichen Standortfaktoren, emotionalen Gründen und einem diffusen Gefühl von „Zufall“ und „Glück“ gesprochen.
Auch wenn die sozialen Beziehungen auf einer manifesten Ebene von den Gesprächspartnerinnen nicht als ausschlaggebender Grund genannt werden, ist doch sehr auffällig, dass sie wesentlich zum Bleiben in der Kleinstadt beitragen. Es ist daher wichtig, nicht nur die Bedürfnisse einzelner Personen zu fokussieren, sondern das ganze System sozialer Beziehungen in den Blick zu nehmen, wenn es um kleinstädtische Lebensverhältnisse geht.